Gastbeitrag
von
Ingrid Scheffelmeier
NATO-Erweiterungen:
Endlich gibt auch der Spiegel
mal zu, dass die USA Russland betrogen haben!
In westlichen Medien wird immer behauptet, Russland lüge, wenn es den USA vorwirft, sie hätten bei der deutschen Wiedervereinigung versprochen, die NATO nicht nach Osten auszudehnen. Ausgerechnet der Spiegel bestätigt die russische Sicht nun. Über die Frage, ob die USA Gorbatschow seinerzeit versprochen hätten, die NATO nach der deutschen Wiedervereinigung
„keinen Zoll“
nach Osten auszudehnen, herrscht in westlichen Medien Streit. Meist wird behauptet, Russland habe sich das nur ausgedacht. Gerade erst dazu in einem Spiegel-Interview:
„Das stimmt einfach nicht, ein solches Versprechen
wurde nie gemacht, es gab nie einen solchen Hinterzimmer-Deal.
Das ist schlichtweg falsch.“
Das war glatt gelogen, denn die Gesprächs-Protokolle aus jener Zeit sind längst öffentlich und sowohl in den Archiven der USA, als auch in den russischen Archiven findet man vollkommen übereinstimmend die Aussagen der damaligen europäischen und US-Politiker, die Gorbatschow versprochen haben, die NATO nach der deutschen Wiedervereinigung „keinen Zoll“ nach Osten auszudehnen. Das ist auch allgemein bekannt, weshalb viele westliche Medien seit einiger Zeit einen anderen Weg gehen und kurzerhand behaupten, Russland werfe den USA einen Vertragsbruch vor und den habe es nicht gegeben, sondern nur mündliche und nicht bindende Zusagen. Nun, das stimmt zum Teil, denn was daran nicht stimmt, ist, dass Russland den USA in dieser Frage einen Vertragsbruch vorwirft, denn es gab ja keinen Vertrag.
Was Russland den USA vorwirft, ist ein Wortbruch, kein Vertragsbruch!
In der internationalen Politik gilt das gleiche, wie bei jedem Menschen im Privatleben: Wenn jemand sein gegebenes Wort bricht, möglicherweise sogar mehrmals, dann ist das Vertrauen zerstört. Und genau das ist es, was passiert ist, denn die USA haben ihr Wort gebrochen und damit die große Krise, in der wir uns jetzt befinden, eingeleitet. Und auch die Lösung der Krise ist deswegen so schwierig, denn wie soll Russland den USA irgendetwas glauben, wenn die USA ihr Wort so leichtfertig brechen?
Genau deshalb fordert Russland derzeit ja auch schriftliche
Sicherheitsgarantien von USA und NATO, weil der Westen sein
gegebenes Wort vollkommen entwertet hat.
Der ungewöhnliche Spiegel-Artikel!
Interessant ist, dass ausgerechnet der Spiegel diese russische Sicht der Dinge nun bestätigt hat. Am 10. Februar ist im Spiegel ein Artikel mit der Überschrift
„Nato-Osterweiterung – Hat Putin recht?“
erschienen, der ursprünglich sogar die sehr viel eindeutigere Überschrift
„NATO-Osterweiterung -
Was hat der Westen 1990 heimlich dem Kreml zugesagt?“
getragen hat. Das war der Spiegel-Redaktion dann aber wohl doch zu eindeutig und daher wurde die Überschrift verändert. Der Spiegel-Artikel beginnt damit, dass er über Jelzins Unmut berichtet, als US-Präsident Clinton die NATO ausdehnen wollte, obwohl das „dem Geist“ des Zwei-plus-vier-Vertrages widersprechen würde, was Clinton jedoch zurückgewiesen hat. Anschließend berichtet der Spiegel über widersprüchliche Aussagen von Zeitzeugen, also Teilnehmern der damaligen Gespräche. Erst danach kommt der Spiegel-Artikel zum Wesentlichen und bestätigt sowohl die russische Sicht der Dinge als auch die Berichte des Anti-Spiegel zu dem Thema: „Zum Glück liegt inzwischen eine Fülle an Dokumenten aus den beteiligten Ländern vor: Gesprächsvermerke, Verhandlungsprotokolle, Berichte. Danach haben Amerikaner, Briten, Deutsche dem Kreml signalisiert, eine Nato-Mitgliedschaft von Ländern wie Polen, Ungarn oder Tschechien sei ausgeschlossen. Noch im März 1991 versicherte der britische Premier John Major bei einem Besuch in Moskau, >>> nichts dergleichen werde geschehen <<<.“ Der Spiegel versucht dann zwar, diese Aussagen vor dem Hintergrund der Zeit ein wenig zu relativieren, aber das ändert nichts daran, dass diese Aussagen gemacht wurden. So steht in dem Spiegel-Artikel auch zu lesen: „In einer Rede in Tutzing schlug er am 31. Januar 1990 vor, die Nato möge eine Erklärung abgeben:
Was immer im Warschauer Pakt geschieht,
eine Ausdehnung des Nato-Territoriums nach Osten, das heißt näher
an die Grenzen der Sowjetunion heran, wird es nicht geben.
Der Vorstoß stieß auf Zuspruch unter den Verbündeten, bei Briten, Amerikanern, Franzosen, Italienern. Gorbatschow brauche die Sicherheit, dass Ungarn bei einem Regierungswechsel nicht Teil des westlichen Bündnisses werde, warb Genscher etwa im Gespräch mit seinem Londoner Kollegen. US-Kollege Baker zeigte sich zwar nicht gerade beglückt von der Idee, hielt sie aber für die beste, die im Augenblick vorliegt. Die Hauptsorge der westlichen Verbündeten galt der Frage, ob ein geeintes Deutschland in der Nato bliebe und nicht der Zukunft der Osteuropäer, die noch Mitglieder des Warschauer Pakts waren. So trugen Genscher und Baker Anfang Februar den Plan unabhängig voneinander in Moskau vor. Im Katharinen-Saal des Kremls versicherte der Deutsche:
Für uns steht fest:
Die Nato wird sich nicht nach Osten ausdehnen.
Das gelte ganz generell.
Und der Amerikaner versprach eiserne Garantien, dass weder die Jurisdiktion noch die Streitkräfte der Nato ostwärts verschoben werden. Als Gorbatschow erklärte, eine Vergrößerung der Nato-Zone sei unakzeptabel, antwortete Baker:
„Dem stimmen wir zu.“
Auch damit bestätigt der Spiegel das, was die angebliche „russische Propaganda seit Jahren sagt: Alle Politiker des Westens haben Gorbatschow seinerzeit versprochen, die NATO nicht nach Osten auszudehnen.
Der Westen will sich nicht an sein gegebenes Wort halten!
Allerdings versuchten die beteiligten westlichen Politiker danach schnell, diese Versprechen zu relativieren. Der Spiegel schreibt: Später sagte Baker, es sei ihm nur um Deutschland gegangen. Offenbar war es den Amerikanern unangenehm, mit den Sowjets auf Kosten von Budapest und Warschau verhandelt zu haben. Auch Genscher spielte später die Bedeutung des Moskaubesuchs herunter: Er habe die sowjetische Reaktion austesten wollen, mehr nicht. Bald darauf begannen die Zwei-plus-vier-Verhandlungen, die sich bis September 1990 hinzogen. Die sowjetische Seite sei auf die Frage einer Nato-Expansion nach Osteuropa nicht zurückgekommen, so Genscher, damit sei das Thema erledigt gewesen.
Das kann man so sehen, nur
ändert das nichts an dem gegebenen Wort
und daran, dass Wortbrüche nun einmal Misstrauen auslösen!
In Russland wird übrigens nicht nur dem Westen sein Wortbruch vorgeworfen, auch Gorbatschow kommt in Russland sehr schlecht weg, denn er war so naiv, sich das nicht schriftlich geben zu lassen, zum Beispiel als Bestandteil des Zwei-plus-vier-Vertrages. Und auf genau diese Naivität Gorbatschows haben sich Politiker wie Genscher berufen, als sie sagten, die sowjetische Seite sei auf die Frage einer Nato-Expansion nach Osteuropa nicht zurückgekommen. Aber rechtfertigt die Tatsache, dass Gorbatschow dem Westen seine Versprechen geglaubt hat und nicht bei jedem Gespräch auf das Thema zurückgekommen ist, den Wortbruch? Sogar der Spiegel-Autor ist da skeptisch, denn in seinem Artikel kann man lesen:
Zweifel an diesen Versionen sind angebracht.
Es war schon ab Februar 1990 kein Geheimnis, dass
manche Osteuropäer langfristig mit einem Nato-Beitritt liebäugelten.
Die Zeitungen berichteten davon, die sowjetische
Seite sprach es gegenüber westlichen Politikern mehrfach an.
Ohne Erfolg!
Vom Westen gab es nur allgemeine beruhigende Auskünfte. US-Präsident George Bush: „Wir haben nicht die Absicht, der Sowjetunion in irgendeiner Weise zu schaden“. Frankreichs Präsident François Mitterrand: „Ich möchte daran erinnern, dass ich persönlich es begrüßen würde, beide Militärblöcke schrittweise aufzulösen“. Später auch Nato-Generalsekretär Manfred Wörner:
„Ich bin gegen eine Ausdehnung der Nato“.
Die Botschaft war klar. Sollte Gorbatschow einem geeinten Deutschland in der Nato zustimmen, würde der Westen eine europäische Sicherheitsstruktur anstreben, die auf Moskaus Interessen Rücksicht nimmt.
Was gelten verbale Zusagen in der internationalen Politik?
Wir können festhalten, dass der Westen Gorbatschow Versprechungen gemacht hat, die er dann gebrochen hat, schließlich wurde die NATO danach nach Osten ausgedehnt. Also müssen wir uns fragen, was mündliche Zusagen in der internationalen Politik wert sind. Auch dazu hat der Spiegel erstaunlich wahrheitsgemäß geschrieben:
Informelle Zusagen
in wichtigen Fragen waren nicht ungewöhnlich im Kalten Krieg!
Der US-Politikwissenschaftler Joshua Shifrinson vergleicht die Besprechungen von 1990 mit den mündlichen Vereinbarungen zwischen Amerikanern und Sowjets, die zur Entschärfung der Kubakrise 1962 beitrugen. Für diese Sicht spricht, dass Gorbatschow sich schon überaus schwertat, die Nato-Mitgliedschaft des geeinten Deutschland zu akzeptieren. Kaum vorstellbar, dass der Kremlchef einer solchen Vereinbarung zugestimmt hätte, wenn die Beteuerungen aus Bonn, London, Paris oder Washington aus seiner Sicht nur unverbindliches Gerede gewesen wären. Am Ende musste die Bundesregierung sogar einen Sonderstatus der neuen Länder hinnehmen. Streitkräfte der Nato-Partner oder anderer Staaten dürfen dort grundsätzlich nicht stationiert werden.
Angesichts der Aktenlage spekulieren manche sogar,
der Westen habe die Sowjets von Anfang an gezielt getäuscht!
So wies Baker wenige Wochen nach seinem Kremlbesuch Genscher ausdrücklich darauf hin, dass inzwischen einige Osteuropäer in die Nato strebten. Genscher erklärte, daran solle man gegenwärtig nicht rühren was für später alle Optionen offenließ. Das mal so eindeutig im Spiegel zu lesen, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Der Spiegel relativiert das wieder!
Wenig überraschend relativiert der Spiegel all das dann wieder, indem er schreibt:
„Solche Aussagen sprechen für
Putins These vom >>>Betrug<<< des Westens, also von
absichtlicher Irreführung.
Und doch ist Putins Behauptung in dieser Schlichtheit falsch.“
Interessant ist, warum das aus Sicht des Spiegel in dieser Schlichtheit falsch ist: „Die 1990er waren das Jahrzehnt der guten Vorsätze und großen Illusionen auf beiden Seiten. Gorbatschow versprach, der Kreml werde die Demokratie einführen, die Menschenrechte achten, das Selbstbestimmungsrecht der Völker respektieren. Er brachte sogar die Idee ins Spiel, die Sowjetunion könnte selbst der Nato beitreten. Sein Nachfolger Jelzin gab sich ähnlich zuversichtlich:
Wir werden ein anderes Land.
Das Imperium im Osten schien reformfähig. Und so wollten Kohl, Genscher, Bush und sein Nachfolger Clinton die Nato wirklich ändern, zu einem politischen Bündnis formen und die Interessen des Kremls ernst nehmen. Einen potenziellen Widerspruch allerdings gab es:
Einerseits sollte die Sicherheit
aller Staaten untrennbar verbunden sein und andererseits
jeder Staat selbst über seine Bündniszugehörigkeit bestimmen dürfen.
Aber das schien ein theoretisches Problem zu sein!
Eine Nato-Mitgliedschaft der Polen, Ungarn Tschechen oder Balten lehnten Clinton, Kohl und die anderen zudem jahrelang ab: zu teuer, die Demokratie dort zu instabil, das Militär zu reaktionär. Doch dann erlahmte der Reformprozess in Russland, das Misstrauen wuchs. Und die oppositionellen Republikaner entdeckten, dass sie mit dem Thema Nato-Mitgliedschaft gegen Clinton punkten konnten. Viele Amerikaner mit osteuropäischen Wurzeln lebten in wahlentscheidenden Swing States im Mittleren Westen.
Clinton beschloss, das Bündnis zu erweitern!
Ich habe das absichtlich so ausführlich und komplett zitiert, damit man mir nicht vorwerfen kann, ich würde einen Teil der Argumentation des Spiegel weglassen. Der Spiegel stellt es so dar, als habe eine geänderte politische Lage und eine Veränderung der Politik in Russland dazu geführt, dass die NATO schließlich gegebenes Wort hin oder her erweitert wurde. Diese „Argumentation“ des Spiegel bestätigt leider das Gegenteil von dem, was der Spiegel ausdrücken möchte, denn diese Darstellung bestätigt exakt Putins Position.
In den 90er Jahren waren Russland und der Westen de facto Freunde.
Ernsthafte Unstimmigkeiten zwischen dem Westen und Russland begannen erst, nachdem Putin im Jahr 2000 russischer Präsident geworden ist und für russische Interessen eingetreten ist, anstatt wie Jelzin brav nach der Pfeife der USA zu tanzen.
Daher ist die Chronologie entscheidend:
Die 1. NATO-Erweiterung erfolgte am 12. März 1999, als Polen, Tschechien und Ungarn der NATO beigetreten sind. Das bedeutet, dass die NATO-Erweiterung bereits durchgeführt wurde, als niemand in Europa Russland als Gegner oder als Bedrohung angesehen hat. Russland unter Jelzin war bis zum Jahr 2000 ein enger Freund des Westens und im übrigen wirtschaftlich und militärisch so marode, dass es niemanden bedrohen konnte.
Ursache und Wirkung verdreht!
Der Spiegel verdreht mit seiner Argumentation also Ursache und Wirkung, denn es war der Westen, der das gegebene Wort gebrochen und damit den Vertrauensverlust ausgelöst hat, der dann mit den Jahren den Riss zwischen Russland und dem Westen immer weiter vertieft hat, bis wir heute wieder am Rande eines möglichen Krieges in Europa stehen. Russland hat zu keinem Zeitpunkt selbst an der
Eskalations-Schraube
gedreht, sondern immer nur auf die Aktionen des Westens reagiert. Und zwar mit einer Engelsgeduld, denn trotz Wortbrüchen, einseitigen Sanktionen und massiven verbalen Anfeindungen westlicher Politiker hat Russland erst jetzt, 23 Jahre nach der ersten NATO-Erweiterung, reagiert und seine roten Linien in Gestalt der ultimativen Forderung nach gegenseitigen schriftlichen Sicherheitsgarantien aufgezeigt. Trotz aller Versuche in dem Spiegel-Artikel, das irgendwie zu relativieren, endet der Spiegel-Artikel mit den Worten:
„Der Westen brach damit keinen Vertrag,
doch unwohl war manchem Beteiligten schon. Jahre später wird Genscher sagen, formal sei das alles in Ordnung, aber man solle sich nichts vormachen. Gegen den Geist der Absprachen von 1990 verstoße man sehr wohl.“
Wenn der Spiegel und all die anderen „Qualitätsmedien“ doch immer so ehrlich berichten würden, dann wäre den Menschen die Kriegs-Hetze, die die westlichen Politiker derzeit betreiben, nicht mehr zu vermitteln und die Sicherheit in Europa wäre einen großen Schritt weiter. Aber ich bin leider sicher, dass irgendein westlicher Politiker im Spiegel demnächst wieder unwidersprochen die Lügen von Nato-Generalsekretär Stoltenberg wiederholen darf:
„Das stimmt einfach nicht,
ein solches Versprechen wurde nie
gemacht, es gab nie einen solchen Hinterzimmer-Deal.
Das ist schlichtweg falsch.“
Quellen: Ingrid Scheffelmeier / Anti-Spiegel
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Ingrid Scheffelmeier
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