DRSB
Deutscher Rentenschutzbund e.V.
„Wo bleibe ich?”
Der Mikrokosmos einer verborgenen Welt
von
Udo Johann Piasetzky
Vorstandsvorsitzender des DRSB e.V.
und
Steuerberater Hans – Josef Leiting
Vorsitzender der Rentenkommission des DRSB e.V.
und
Vorsitzender der Rechtskommission des DRSB e.V.
Meerbusch, den 25. März 2007
Es ist für jede Familie immer besonders schwer, den körperlichen Niedergang von alten und lieben Mitmenschen zu erleben.
Wenn Enkel – Kinder erleben, dass die Großmutter oder der Großvaters urplötzlich nicht mehr laufen, essen oder stehen können und innerhalb weniger Wochen immer weniger ohne Hilfe gelingt, dann bricht häufig eine Welt für sie zusammen.
Spätestens dann wird im Bewusstsein verankert, dass die eigenen Eltern womöglich eine gleiche Entwicklung durchmachen könnten.
Irgendwann leben die Eltern dann vielleicht sogar krankheitsbedingt in einer anderen Welt, in der Kühe im Wohnzimmer stehen, Autos auf den Bäumen parken und Hubschrauber im Bad landen.
Eine Idealvorstellung, wie alte Bürger ihre letzten Wochen und Monate verbringen sollten, stammt meistens aus der Zeit von Großfamilien mit vielen Geschwistern und Enkeln, die auch noch alle am selben Ort lebten.
In der Tat werden heute noch mehr als 70% aller Pflegebedürftigen zu Hause von Angehörigen betreut, allerdings in steigendem Umfang von professionellen Pflegekräften.
Bei alten Männern übernimmt meist die Ehefrau die Betreuung, bei alten Frauen in der Regel die nicht berufstätige Tochter oder Schwiegertochter.
Dabei sind Pflege und Beruf ungefähr so schwer zu verbinden wie Kindererziehung und Beruf.
Am Arbeitsplatz können Pflegende bisher kaum auf Hilfe hoffen.
Die Staatsunterstützung hält sich in Grenzen.
Maximal 665 Euro monatlich bekommen Betreuer aus der Familie.
Die Rot – Schwarze Regierung hat vermutlich das Problem erkannt.
In dieser Legislaturperiode soll eine Reform der Pflegeversicherung kommen, und laut Koalitionsvertrag gehört dazu auch ein Rechtsanspruch auf eine Pflegezeit, einen unbezahlten Urlaub, der vergleichbar sein soll mit der Elternzeit für Väter und Mütter.
Die meisten Arbeitgeber machen aber keinen großen Unterschied, ob ein Mitarbeiter morgens eine Greisin oder ein Kleinkind füttert.
Pflege von alten Familienangehörigen ist nach wie vor
reine Privatsache.
Innovative deutsche Unternehmen wollen neuerdings familienfreundlich sein, nur diese „Familienfreundlichkeit” beschränkt sich in den meisten Fällen auf die
Kinderfreundlichkeit.
Eine positive Entwicklung, denn junge Eltern können zumindest mit verbaler, oft auch mit realer Unterstützung rechnen.
Das Thema kranke und verwirrte alte Bürger klammert man lieber aus.
Um dieses „Problem” müssen sich in erster Linie Hausfrauen kümmern, denn pflegende Männer sind eigentlich sehr rar.
Glaubt man den Statistiken, so betreuen circa 16% aller Hausfrauen zwischen 40 und 54 Jahren pflegebedürftige Angehörige. Lediglich 8% aller Männer gleichen Alters tun dies und oft nur in geringerem Umfang.
In kaum einem anderen Lebensbereich wirken historische Rollenerwartungen an Männer und Frauen so unwidersprochen fort wie bei der Pflege.
Allgemein kümmert man sich eher um ein
Pflegemanagement.
Pflegende Frauen hingegen müssen leider häufig die berufliche Laufbahn beenden. Wegen eines Pflegefalls geschieht das in Deutschland genauso oft wie wegen der Erziehung kleiner Kinder, so eine Studie für den jüngsten Altenbericht der Regierung.
Die eigenen Eltern zu pflegen und trotzdem
Karriere zu machen ist in Deutschland schon fast unmöglich.
So entsteht heimlich und leise
ein Pflegenotstand von gigantischem Ausmaß.
Neusten Studien zur Folge wünschen sich viele Eltern Töchter statt Söhne, damit sie im Alter besser umsorgt sind.
Besonders überraschend:
Kein Politiker, keine Feministin
und
keine Gewerkschaft
protestiert.
In Ostdeutschland pflegen mehr männliche Bürger ihre Angehörigen als in Westdeutschland, was vermutlich mit der höheren Arbeitslosigkeit zusammenhängt.
Die Denk – Strukturen in Deutschland sind wie im vorigen Jahrhundert auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen, der Betriebe und der traditionellen Aufgabenteilung in der Familie ausgerichtet.
Kreative oder gar innovative Denkansätze sind bei deutschen Gewerkschaften schon immer Fehlanzeige gewesen.
Die Pflegenden und ihre Arbeitsplätze kommen in kaum einer Gewerkschafts – Debatte vor.
Aus diesen Gründen entdecken Multi – Konzerne und rein deutsche Unternehmen das Pflegeproblem nur zufällig.
Ganz langsam beginnt ein Umdenkungsprozess einiger weniger sozial eingestellter Arbeitgeber.
An für sich ist dies ein deprimierendes Bild für einen Staat wie Deutschland.
Aber es gibt eine rühmliche Ausnahme:
Die Telekom bietet Mitarbeitern eine Pflegezeit an!
Man kann aussteigen oder weniger arbeiten. Viele Mitarbeiter bevorzugen eine Teilzeitstelle und möchten ihre Angehörigen nicht in Pflege- oder Altersheim stecken.
Bei Pflegesätzen von oftmals mehr als 3.200,00 Euro monatlich sind selbst schon gut verdienende Bürger gezwungen, Mutter oder Vater wieder zu sich zu nehmen.
Das Hauptproblem ist, dass die erwachsenen Kinder häufig nicht mehr am selben Ort wie ihre Eltern leben.
Viele Töchter, Söhne und Schwiegertöchter haben Jobs, in denen sie flexibel und mobil sein müssen, damit der Arbeitsplatz erhalten bleibt.
Auf viele Bürger der geburtenstarken Jahrgänge kommen deshalb bereits kurzfristig schwierige Entscheidungen zu.
Sie wissen,
was von ihnen erwartet wird,
wenn die Eltern Hilfe brauchen.
Die Kernfrage ist aber,
können sie diesen Erwartungen gerecht werden?
Und: Wollen sie es überhaupt?
Verantwortung für die eigenen Eltern wird für unsere Gesellschaft ein mindestens so großes Thema wie die Kinderbetreuung.
Der DRSB e.V. setzt sich häufig mit Missständen und Fehlentwicklungen in den USA auseinander, damit amerikanische „Krankheiten” die deutschen Rentenbezieher nicht beeinträchtigen.
Hier und heute brechen wir eine Lanze für ein amerikanisches Betreuungs – Modell.
In den Vereinigten Staaten, wo die Menschen mobiler und die Entfernungen größer sind, werden Programme für die ganz jungen Bürger und für die ganz alten Bürger
childcare und eldercare
in einem Atemzug genannt.
Wer sich in den USA um hilflose Familienmitglieder kümmert, egal, wie alt diese sind, verdient Unterstützung.
Pflegende in den USA erhalten zwar viel weniger Hilfe vom Staat, aber dafür oft mehr Rückendeckung von ihren Arbeitgebern.
Großunternehmen wie
IBM oder Hewlett – Packard
bieten unbezahlte Auszeiten an.
Der Autokonzern Ford und der Telekommunikationsriese AT&T beraten ihre Mitarbeiter mit pflegebedürftigen Angehörigen kostenlos.
So etwas sollten wir von Amerika lernen.
Nach uns vorliegenden Informationen entwickeln die Multikonzerne
Daimler – Chrysler und Siemens
vergleichbare Konzepte.
Leider entdecken in den meisten Unternehmen die Personalmanager das Pflegeproblem eher beiläufig.
Es schält sich dabei heraus, dass einige Erfahrungen von berufstätigen Eltern auf Pflegende übertragbar sind.
Der größte Unterschied spielt aber die Psychologie.
Ein kleines Kind bringt man stolz mit in den Betrieb, um es Kollegen zu zeigen, bei den pflegebedürftigen Eltern käme niemand auf die Idee, den „Vater” im Unternehmen herum zu zeigen.
Außerdem gibt es keine neunmonatige Eingewöhnungsphase wie die Schwangerschaft.
Mit zunehmenden Jahren werden die Probleme nicht kleiner, sondern größer.
Wer bei Kleinkindern schon einmal die Windeln gewechselt hat, der weiß genau nach circa 3 Jahren ist der „Spuk” vorbei.
Wer zum Beispiel einen demenzkranken 80jährigen Vater füttern muss, weiß, dass diese Betreuung immer schwieriger wird.
Dadurch ist es extrem schwer planbar, welche Auszeit für die Pflege nötig ist.
Viele Bürger, die Angehörige pflegen, werden selbst krank.
Manchmal quälen sie die hilfebedürftigen Alten sogar und tragen mit Verspätung alte Konflikte aus der Kindheit aus.
Sehr viele Bürger ertragen die psychischen Belastungen nicht.
Sie kommen nicht damit zurecht, dass eine an Demenz erkrankte Mutter Kinder nicht mehr erkennt oder sich plötzlich Senf in die Haare schmiert.
Gestandene Frauen sind völlig hilflos, wenn der Vater sich nicht von der eigenen Tochter im Intimbereich waschen lassen will.
In der Öffentlichkeit ist viel von Missständen in den Pflegeheimen die Rede, aber in den Familien sieht es längst nicht besser aus, man erfährt nur weniger von Gewalt und Not.
Der Mikrokosmos einer verborgenen Welt
legt dann den Schleier des Schweigens über das Geschehene.
Die oftmals von panischer Angst geprägte Frage alter Bürger:
„Wo bleibe ich?”
entscheidet häufig das Einkommen aller Betroffenen.
Je kleiner das Jahreseinkommen, desto eher wird der Beruf zurückgestellt. Je höher das Jahreseinkommen, desto eher landet ein alter Bürger im Pflegeheim.
Für die allermeisten gutverdienenden berufstätigen Bürger ist die Pflegeversicherung bestenfalls eine kleine Hilfe.
Ein Bürger mit einer 45-Stunden-Woche, dessen todkranke Mutter in einer anderen Stadt lebt, braucht deshalb nicht in erster Linie Geld, sondern einen kooperativen Arbeitgeber und die Hilfe der
Gemeinschaft.
Das DRSB e.V. – Modell
GenDac3
greift den Gedanken von Großfamilien auf und kann somit älteren Mitmenschen ein vollkommen neues Lebensgefühl vermitteln.
3 Generationen unter einem großen Dach, da erhalten selbst Kinder, die keine eigene Oma mehr haben, das Gefühl der Geborgenheit zurück.
GenDac3
klingt vielleicht banal und kann doch das Leben einer ganzen Familie ändern.
Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die etwas bewegen, manchmal ist es auch ein engagierter Politiker, der tatsächlich etwas verändern will.
Wir sollten alle in Deutschland
mehr über das Thema reden, denn in einem Punkt
haben es Pflegende leichter als
junge Väter und Mütter:
Nicht alle haben Kinder, aber alle haben Eltern.
DRSB
Wir kämpfen seit 19 Jahren mit der Stimme der Demokratie
für
einen modernen Sozialstaat,
sichere, langfristige Arbeitsplätze,
sinnvolle, gerechte und lernfähige Rentensysteme,
sichere, gerechte und leistungsfähige Sozialsysteme,
und für
korruptionsfreie Demokratie in Deutschland und der EU.
Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.