Das Wort am Sonntag – 28. August 2011

Das Wort am Sonntag

 

Das Ende der bürgerlichen Werte?

 

28. August 2011

 

Nach den inneren Unruhen in England wurde die Diskussion über bürgerliche Werte erneut entfacht.

Was sind bürgerliche Werte?

Wer soll sie täglich praktizieren?

Gibt es überhaupt bürgerliche Werte?

Höchste Zustimmungs- und Identifikationswerte erhalten in der Bevölkerungsmehrheit immer noch die Begriffe

Verlässlichkeit, Wertstabilität, Solidarität und Vertrauen.

Aber sind diese Begriffe auch noch Werte für die Zukunft, für das Morgen in unserer Gesellschaft?

Seit dem Beginn der aktuellen US – Finanz- und Wirtschaftskrise wurden nahezu alle früheren Werte in Frage gestellt. Man begann zu glauben, dass die gesellschaftlichen Werte keinerlei Wert mehr haben.

Ratingagenturen liefern Gefälligkeitsgutachten.

Gerichte sprechen Recht, das niemand versteht.

Steuergeschenke für die UPPERTEN und Konzerne.

Nur drei „kleine“ Beispiele warum im so genannten bürgerlichen Lager die Zweifel immer größer wurden, ob man mit den praktizierten Werten stets richtig gelegen hat.

Zwei Jahrzehnte der völlig enthemmten Finanzmärkte haben rund 90% der gesellschaftlichen Werte zerstört. Das ist kein vorübergehendes Abwirtschaften oder eine kurze Krise der sogenannten bürgerlichen Politik, sondern ein Langzeitversagen der wirtschaftlichen und politischen Eliten. Der sehnsüchtige Wunsch nach der Werterhaltung „DER WERTE“ ist also weder der Wunsch nach Rückkehr des

Kommunismus noch eine Selbstbewusstseinskrise des Konservatismus in unserer Heimat.

Dient das politische und

wirtschaftliche System nur den SuperReichen?

Knapp zwei Wochen nach dem Ausbruch der inneren Unruhen in London scheint man in Groß Britannien unfähig oder unwillig zu sein, nach den sozialen Auslösern oder Ursachen zu fragen. Wer das tut, muss damit rechnen, als

„LINKER“, „HETZER“ oder „VERTEIDIGER“

von sinnloser Gewalt gebrandmarkt zu werden. Der britische Premierminister bezeichnete im Parlament Teile seiner Gesellschaft als einfach „krank“. Möglicherweise vermitteln die inneren Unruhen auf der Insel eine weitaus düstere Ahnung von etwas Schlimmerem, das uns in Europa bevorsteht.

Die Segregation in allen Gesellschaftsklassen.

Premierminister David Cameron verordnete seinem Land einen radikal extremen Sparkurs und macht selbst in der feudalen Toskana Urlaub. Das rechtfertigt auf keinen Fall die Gewalttaten in den englischen Großstädten, zeigt aber in aller Deutlichkeit, wie wenig soziales Gespür in weiten Teilen des britischen Establishments vorhanden ist. Der unkontrollierte Ausbruch von Unruhen aus den Armenvierteln war aber nicht unvorhersehbar.

Es ist unbestreitbar, dass es

gravierende soziale Unterschiede auf der Insel gibt.

Es fehlt an vielen Dingen.

Selbst in der ehemaligen DDR gab es solche miserablen Verhältnisse nicht. Groß Britannien ist zu einer tief segregierten [ entmischten / entfernten ] Gesellschaft mutiert.

Unsere Welt ist nicht perfekt und wird es auch niemals werden.

Doch was Neoliberalismus und Thatcherismus in Groß Britannien angerichtet haben, ist in Europa ohne Beispiel.
Aus dem Buckingham Palast hört und liest man nichts. Denn zu solch pöbelhaften Vorkommnissen gibt „DER HOF“ keine Stellungnahmen ab. Viele andere europäische Monarchien scheinen dagegen mit dem Volk enger verbunden zu sein, wenn es im Sozialen brennt.

In Groß Britannien herrscht der eisige Standesdünkel.

Groß Britannien hat seine sozialen Probleme jahrzehntelang verschleiern wollen, bis es unverhohlen zu Gewalt gegen Menschen und deren Eigentum kam. Aufstände auf der Insel aus Not und Elend sind aber keinesfalls neu, denn bereits 1980 / 1981 führten soziale Probleme zum Aufstand von Toxteth und gipfelten in den 1990ern zu den Poll Tax Riots. Diese Unruhen wurden damals als die Schlacht am Trafalgar Square bezeichnet. Molotowcocktails gegen Polizisten, entzündete Häuser, von armen Kindern geplünderte Geschäfte und Supermärkte, so etwas erlebten die Briten schon mehrfach. Die Menschen in Groß Britannien  möchten nicht Aussteiger aus der Gesellschaft, sondern Einsteiger in ein erfülltes Berufsleben sein. Doch dazu fehlen sichere und gut bezahlte Langzeitarbeitsplätze, die es nicht gibt.

London, Liverpool oder Manchester – hier ticken soziale Zeitbomben die schon bald die trügerische Ruhe auch in unseren Städte sprengen könnten, wenn die jungen Menschen und aktuelle Rentenbezieher auch in unserer Heimat nicht mehr stillhalten können. Wenn sie sich gegen diejenigen wenden, die ihre Probleme mit derart kaltschnäuziger Geringschätzung abtun.

Toxteth

- die einstmals stolze britische Hafenstadt an der Mersey – Mündung gilt noch heute als Mahnmal für die niederschmetternde Anhäufung zerfallender Gebäude und einer galoppierenden Exklusion sowie gnadenloser Segregation.

Heute wissen die Menschen auf der Insel, dass sie keine sicheren Arbeitsplätze mehr bekommen, weiter auf der Straße liegen müssen und dort wie selbstverständlich von der Polizei gejagt werden. Das britische Pulverfass ist explodiert und wird europaweit  eine Kettenreaktion auslösen. Quasi von Manchester über London nach Paris, Madrid, Rom oder München und Berlin, denn auch bei uns ist Toxteth – Time. Nur in unserer Heimat hat die Toxteth – Time ein völlig anderes Gesicht. Toxteth – Time ist bei uns:

Agenda 2010 / Hartz IV / Riesterrente.

Preistreibende Vermieter, gierige Börsenspekulanten, Justizskandale und rigoros rücksichtslose Manager, die uns Arbeitskraft und Arbeitsplatz stehlen wollen, bestimmen noch das wirtschaftliche Szenario. Da wird es nicht mehr lange dauern, bis auch in unserer Heimat die meisten Menschen zusammenstehen und sich, ihre Wohnungen sowie ihre Habe bedroht sehen.

Noch verdecken Themen wie Lybien oder Syrien die gähnende Leere in der politischen und wirtschaftlichen Landschaft, dass die gegenwärtige neoliberale Politik fälschlicherweise als „bürgerlich“ verkauft wird. Noch hält der mediale Tarnumhang

dem Druck aus Teilen der Bevölkerung stand.

Aber wie lange noch?

Wie lange dürfen Banken die Gewinne internationalen Erfolgs an sich reißen und die Verluste auf die Steuerzahler in Europa verteilen. Wenn die Realität, wie in Groß Britannien, die Schmerzgrenze durchbricht, beginnen in allen Gesellschaftsklassen die Zweifel, ob das alles noch seine Richtigkeit hat. Spätestens dann beginnt ein neuer geschichtlicher Abschnitt in unserer Heimat, quasi ein historischer Moment, wo sich Bewährtes wieder zu Wort meldet, um das zu retten, was noch zu retten ist. Man hört es aller Orten und immer häufiger in unserer Heimat:

Ich will nicht mehr länger schweigen“.

Es hat mehr als vierzig Jahre gedauert, bis es in unserer Heimat so weit kommen musste.

Eine Welt der DoppelMoral,

eine Welt der verlorenen Werte neigt sich dem Ende zu.

An ihre Stelle tritt vermutlich

schon recht bald die neue Welt der bürgerlichen Werte.

Darin liegt die Explosivität, darin liegt die Gefahr der gegenwärtigen politischen Lage, darin liegt der Unterschied zu vergangenen Finanzkrisen. Der abrupte Niedergang der FDP, die für den jahrelangen Irrweg in der Steuerpolitik bestraft wurde, sowie die anhaltende Talfahrt aller Parteien, ist der beste Beweis dafür. Denn das große Versprechen vom individuellen Wohlstand für alle hat sich in sein Gegenteil verkehrt.

Demnächst von der Bevölkerung wieder gefragt:

Verlässlichkeit, Wertstabilität, Solidarität und Vertrauen

kombiniert mit Disziplin, Ordnung, Zuverlässigkeit, Loyalität und Kontrolle.

 

Veröffentlicht unter Alle Artikel, Das Wort am Sonntag

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>