Das Wort am Sonntag
Zahlentrickserei
um
Vollbeschäftigung?
14. August 2011
Bis zum Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts verstand man unter
Vollbeschäftigung
eine strukturelle Arbeitslosenquote von „nur“ einem Prozentpunkt. Heute setzen Ökonomen den Wert wesentlich höher an, weil man die längere Suche nach einem Arbeitsplatz berücksichtigen muss. Dies lässt erkennen, dass in unserer Heimat das Ziel der echten Vollbeschäftigung schwer durchsetzbar ist. Die Regierung unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel möchte eindeutig, dass wir wieder die Chance bekommen, zu einer Vollbeschäftigung in Deutschland zu kommen. Das Ziel der sozialen Marktwirtschaft,
Aufschwung, Beteiligung und Arbeit für Alle
wird aber immer noch nicht erreicht. Insgeheim hofft man, es möge ein Wunder geschehen und dann werden 1000 Märchen von sicheren Langzeitarbeitsplätzen wahr.
Davon sind wir in unserer Heimat ein gutes Stück entfernt, denn was seriöse Arbeitsmarktforscher unter Vollbeschäftigung verstehen, das spiegelt unser Arbeitsmarkt kaum wieder.
Deutschlands erkennbarer Aufschwung macht einen großen Bogen um sichere und gut bezahlte Langzeitarbeitsplätze. Laut den Statistiken des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden sind drei Viertel der im vergangenen Jahr entstandenen neuer Jobs sogenannte atypische Beschäftigungen.
Der überwiegende Teil der neu geschaffenen Arbeitsplätze sind prekäre Leiharbeitsverhältnisse, die quasi in jeder noch so kleinen Krise als erste zur Entlassung anstehen. Entlassen werden immer die Leiharbeiter, die zuerst eingestellt wurden. Das belegen in aller Sachlichkeit die Zahlen vom Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. Der größte Teil neuer Arbeitsplätze entstand im vergangenen Jahr durch Leiharbeit. Von den 322.000 neuen Jobs waren
182.000 prekäre Leiharbeiterstellen.
Das sind 57% der neu geschaffenen Arbeitsstellen. Zählt man die Teilzeitbeschäftigte unter 20 Stunden pro Woche und andere geringfügige „Stellen“ noch hinzu, dann sind von den 322.000 neuen Jobs 75% sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse.
Bei insgesamt
241.500 prekärer Beschäftigungen
von einer deutlichen Verbesserung am Arbeitsmarkt zu sprechen, ist quasi blanker Zynismus, denn die Zahl dieser sogenannten atypisch Beschäftigten stieg der Statistik zufolge 2010 auf
7,84 Millionen abhängig Beschäftigte
in unserer Heimat an. Insgesamt waren 30,9 Millionen Menschen als Angestellte oder Arbeiter beschäftigt.
Die Anzahl der Leiharbeiter stieg auf insgesamt 742.000 und erreichte damit einen neuen Rekordstand. Hinzu kommt, dass die realen Nettolöhne von Geringverdienern seit der Jahrtausendwende stark gesunken sind. Besonders die Beschäftigten in den prekären Einkommensgruppen haben mit
Einkommenseinbußen zwischen 15% bis 23%
zu kämpfen und das obwohl unsere Wirtschaft seit der aufziehenden US – Finanz- und Wirtschaftskrise sehr ordentlich gewachsen ist. Bei den meisten abhängig Beschäftigten ist aber vom Wirtschaftswachstum nichts angekommen.
Im prekären Niedriglohnsektor gibt es inzwischen radikale Auswüchse, die man sozialpolitisch nicht mehr rechtfertigen kann. Flächenarmut, Alters- und Kinderarmut sowie eine massiver werdende soziale Ausgrenzung lassen erkennen, dass man in Deutschland vom Ziel der Vollbeschäftigung noch weit entfernt ist. Denn praktische und spürbare Vollbeschäftigung bedeutet noch immer
sichere und gut bezahlte Langzeitarbeitsplätze.
Und genau diese Langzeitarbeitsplätze fehlen, damit das Reformziel der sozialen Marktwirtschaft, Aufschwung, Beteiligung und Arbeit für Alle aufrecht erhalten werden kann.
Vollbeschäftigung
sollte eigentlich bedeuten, dass es nur noch Arbeitslosigkeit aufgrund von Suchprozessen auf dem Arbeitsmarkt oder wegen konjunktureller Schwächephasen gibt, gegen die man sich nicht völlig abschirmen kann.
Als Daumenregel für eine tatsächliche
Vollbeschäftigung
könnte man eine Arbeitslosenquote von 2% bis 4% zugrunde legen, wobei man eher zur unteren Grenze tendieren sollte, denn es gibt auch Arbeitslose, die nicht in der Quote der registrierten Arbeitslosen [ ALG II ] erscheinen.
Obwohl der Wirtschaftsaufschwung vom Export gekommen ist begründen Politiker die Erfolge auf dem Arbeitsmarkt gerne mit den untauglichen und volksschädlichen Hartz – Reformen. Denn es sind keinesfalls die Hartz – Reformen, die nicht beweisen können, warum sich Produkte
MADE IN GERMANY
im Ausland besser verkaufen. Erstens haben wir Realistisch betrachtet zur Qualität deutscher Produkte bis heute auch noch mächtig Glück gehabt, dass die Nachfrage nach Produkten
MADE IN GERMANY
sich – nach wie vor – gut entwickelt. Wir haben zweitens riesiges Glück gehabt, dass Deutschland genau das anbietet, was weltweit viele Länder dringend brauchen,
Investitionsgüter.
MADE IN GERMANY
stellt quasi das Premium – Segment in diesem Bereich dar, so dass unsere Wirtschaftsgüter noch immer sehr begehrt sind. Wenn nun auch die Politik dazu beigetragen könnte, dass durch sichere und gut bezahlte Langzeitarbeitsplätze es wieder zu einer wirklichen
Vollbeschäftigung
käme, dann würden Flächenarmut, Alters- und Kinderarmut sowie soziale Ausgrenzungen ins Reich der Märchen zu verbannen sein. Und die Früchte von
MADE IN GERMANY
könnten alle ernten. Doch bis dahin bleibt das Thema der
Vollbeschäftigung
eine gefährliche Lebenslüge der Politik, die man den Menschen suggeriert.
Quasi ein politisches Placebo ohne Trostpflaster.
Das ist aber aufgrund der Demografie nicht mehr zeitgemäß und verschärft die finanziellen Engpässe in der Sozialversicherung.