Das Wort am Sonntag 2010 10 10

Das Wort am Sonntag

 

Metropolen des Stillstands

[ VORAUSDENKEN ]

 

10. Oktober 2010

 

Probleme entstehen nicht plötzlich und unerwartet aus dem absoluten NICHTS. Probleme entwickeln sich in der Regel aus normalen Szenarien, Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen. Die Erdbevölkerung ist von 2,5 Milliarden im Jahr 1950 auf 6,1 Milliarden im Jahr gestiegen. Nach Schätzungen der UN werden 2050 circa 9,1 Milliarden Menschen unseren Erdball bevölkern. Bereits heute leben rund 50% der Weltbevölkerung also rund

3.494.607.000 Menschen

[ 3,49 Milliarden ]

in stetig wachsenden Städten. In 20 Jahren werden es laut UN bis zu 60% sein. Damit würden dann rund

5.500.000.000 Menschen

[ 5,5 Milliarden ]

in Städten leben. Prognosen zu Folge könnte der Anteil bis zum Jahr 2050 auf 75% ansteigen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es lediglich 16 Städte mit mehr als 1 Million Einwohnern. Im Jahr 2005 gab es schon 450 Städte mit mehr als 1 Million Einwohnern. Zurzeit leben auf unserem blauen Planeten

6.906.558.000 Menschen.

Für 2020 werden geschätzte 680 Städte mit mehr als 1 Millionen Einwohnern erwartet. Lediglich 2% unserer Erdoberfläche wird von Stadtgebilden bedeckt. Erstaunlich aber wahr: 75% der weltweit benötigten Energie benötigen die Städte und produzieren rund 80% des weltweit ausgestoßenen CO2. Es stinkt und staut sich also auf den Großstadtstraßen, so dass in den meisten Metropolen Autofahrer kaum schneller voran kommen als zum Beispiel Radfahrer. Selbst in der vermeintlich romantischen

PferdekutschenÄra

lag das Durchschnittstempo des Verkehrs in Großstädten wie New York, London oder Paris knapp darunter. Im London des 19. Jahrhunderts bewegten sich die Pferdekutschen mit einer Schneckengeschwindigkeit von rund zehn Stundenkilometern nicht wesentlich langsamer voran als heute unsere „Stahlroße”, denn Studien zur Folge liegt heute die Durchschnittsgeschwindigkeit, mit der Automobile in London unterwegs sind, bei gerade einmal 19 Stundenkilometern. London ist also nicht berühmt als Autofahrer – Paradies. Eher schon ist die englische Metropole berüchtigt für überfüllte Straßen, Verkehrsstillstand, ständige Staus, hohe Schadstoffbelastung der Luft und gigantisch hohe Parkgebühren. Aber die Verkehrsprobleme sind austauschbar, denn Berlin, Frankfurt, München, Köln oder Brüssel, Rom und Madrid stehen der englischen Großstadt in nichts nach. Im Jahr 2003 versuchte man auf der Insel die Metropole Autofreier zu gestalten und führte die

Congestion Charge

ein. Eine Maut für alle Verkehrsteilnehmer, die mit einem Automobil in die Innenstadt von London wollen. Bereits 2007 musste man die Mautzone noch erweitern. Die Olympischen Spiele im Jahr 2012 werden den Londoner Nahverkehr auf die Nagelprobe stellen und die Schwächen der Architektur, der Mobilität sowie der Stadtentwicklung aufzeigen. Wie wichtig ein gut funktionierender öffentlicher Nahverkehr sein kann, erfahren täglich die Londoner am eigenen Leib. Denn eine systemübergreifende, nutzmehrende Verschmelzung von öffentlichen und privaten Verkehrssystemen wird lediglich schon seit rund 15 Jahren diskutiert. Auf Grund des allseits bekannten Zitzelsberger – Syndroms werden unsere Städte regelrecht ausgeblutet, so dass neue Projekte für den öffentlichen Nahverkehr erst gar nicht aufgelegt und vorhandene systematisch eingeschränkt werden. Verbesserter Verkehrsfluss, Car to Car Kommunikation oder sonstige Innovationen bleiben also reine Zukunftsmusik. Stundenlanges Feststecken im Freitags – nachmittags – Verkehr gehört nach wie vor zum „Wochenendvergnügen”. Der Stau auf den Straßen ist einfach zu dicht.

Warum staut sich der Verkehr so stark?

Es gibt viele Theorien, die den Verkehrsfluss behandeln und die mögliche Auswege suchen. Ganz sicherlich spielt die wachsende Einwohnerzahl einer Stadt eine Rolle, ist aber nicht allein entscheidend für den Verkehrsfluss. Zum Beispiel ist die durchschnittliche Fahrtgeschwindigkeit in London um rund 40% geringer als in Paris. Aber ein Durchschnittstempo 31 km/h ist auch keine Offenbarung. Nachfolgend eine kleine Auswahl der langsamsten Großstädte in Europa:

 

Platz

Stadt

Durchschnittstempo in km/h

1

London

19

2

Berlin

19

3

Warschau

21

4

Edinburgh

30

5

Rom

30

6

Glasgow

30

7

Paris

31

8

München

32

 

Steht den Menschen in einer Stadt jedoch ein effizienter öffentlicher Nahverkehr zur Verfügung und sind die Fahrpläne von Bus und Bahn gut aufeinander abgestimmt, so erleichtern sie den Berufspendlern die Entscheidung, vom Auto auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Zum Beispiel verfügt die Großstadt Hamburg darüber hinaus über gut ausgebaute Schnellstraßensysteme, die den gesamten Verkehrsfluss erhöhen können. Dagegen ist die Infrastruktur von London ist sehr alt und es gibt keine Schnellstraßen, die in die direkt Innenstadt führen. Die zum großen Teil recht kurvigen Straßen der britischen Hauptstadt sind bei Touristen und England – Fans sehr beliebt, doch für die Autofahrer stellen sie ein tägliches Ärgernis dar.

Da stellt die Einführung von Mautgebühren auch keine Dauerlösung dar. Wir müssen uns einmal vor Augen führen, dass sich der weltweite Bestand an Automobilen in den kommenden 20 Jahren mehr als verdreifachen wird. Der Automobilhersteller Audi reklamiert für sich in der Werbung den Vorsprung durch Technik. Mit dem Mobilitätskonzept

Travolution,

dass bei Ampeln den Zeitpunkt der nächsten Grünphase an den Bordcomputer sendet und so dem Fahrer anzeigen kann, mit welcher Geschwindigkeit man die nächsten Kreuzungen ohne zusätzlichen Halt überqueren könnte, wird man dem eigenen Anspruch

Vorsprung durch Technik

gerecht.

Travolution

ist aber bei aller Revolution nur ein kleiner Baustein in einem umfassenden Mobilitätskonzept. Die europäischen Städte gehen das Verkehrsproblem auf sehr unterschiedliche Art und Weise an und haben unterschiedlichem Erfolg damit. Der Verkehr ist für diejenigen in London, die sich die Mautgebühr leisten können sowie für Taxis und Busse, ruhiger geworden. Der öffentliche Nahverkehr zeigt laut den Studien aber kaum Verbesserungen. Es bleibt nach wie vor sehr schwer, in der Londoner Innenstadt vom Punkt A nach Punkt B zu kommen. Für die meisten Londoner hat die Mautgebühr daher ihrer Meinung nach keine Vorteile gebracht. Beim Thema

Automobil, Verkehr und Umwelt

wird die Betrachtung zu häufig eingegrenzt auf das Endprodukt eines Automobils. Automobile werden immer noch als isoliertes Konsumgut eingestuft, dessen Wirkungsgrad vom lediglich von dem

Stand der Technik

und vom verkehrsbedingten Verhalten der Nutzer abhängen soll. Die fatalen Folgen für die Umwelt liegen auf der Hand: Es gelangen so nur fahrzeugspezifische Emissionen

in den Fokus wie zum BeispielStandardluftschadstoffe und der Lärm. Von untergeordneter Bedeutung erscheinen dabei Emissionen die das Wasser und den Boden schädigen. Damit haben die Grünen zum Beispiel erreicht, dass die gestellten Umweltschutzmaßnahmen auf mögliche fahrzeugtechnische Verbesserungen eingeengt werden und Vorschläge für straßenbautechnische Erweiterungen der Ideologie zum Opfer fallen. Das Automobil muss sich in naher Zukunft völlig wandeln und wird vom fortbewegenden Statussymbol den Sprung in die neue Welt der Wahrnehmungsmobile vollziehen. Optimaler Verkehrsfluss wird nur mit vernetzter Mobilität zu erreichen sein und vom lokalen Carsharing, über ein flexibles öffentliches Nahverkehrsangebot bis hin zum fahrerlosen Elektroauto alle Möglicheiten nutzen.

Auch die asiatischen Staaten werden die Segnungen des Automobils schon bald erfahren. In China werden in den nächsten 5 Jahren mehr als 10 Millionen und in Indien 3 Millionen Fahrzeugneuzulassungen erwartet. Dort ist das Auto noch kein normales Konsumgut, das einen normalen marktwirtschaftlichen Zyklus durchläuft von Herstellung, Kauf, Gebrauch und der gefahrlosen Entsorgung. Mit dem Auto werden in China und Indien umfangreiche, vernetzte und mächtige Versorgungs- und Nutzungsinfrastrukturen geschaffen, wie Straßenbauwirtschaft, Tankstellennetze, Reparaturbetriebe, Unfallkrankenhäuser, Verkehrspolizei, Verkehrsgerichte, Versicherungen und Schrottverwerter. Der motorisierte Individualverkehr muss dort also als infrastrukturprägende Systemtechnik anzusehen werden, die Arbeit und Arbeitsplätze schaffen. Beim Thema

Auto und Umwelt

dagegen muß man darum das gesamte entstehende System wesentlich differenzierter betrachten und die Folgen für die Umwelt nicht aus den Augen verlieren. Die Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs und das kriegsähnliche

Menschensterben und Menschenverstümmeln

auf Stadt- und Schnellstraßen steht Chinesen und Indern noch bevor. Einmal vollkommen abgesehen von anderen Schadwirkungen des Kraftfahrzeugsystems.

Der Freitags – nachmittags – Verkehr ist in den chinesischen und indischen Metropolen bereits schon deutlich spürbar. Stau in Peking [ Beijing ] ist keine Seltenheit mehr.

Der motorisierte Individualverkehr wird unsere Stadtbilder weiterhin prägen und von einer angemessenen Problemwahrnehmung hängen auch die in Erwägung

zu ziehenden Maßnahmen und Alternativen ab, die uns gegenwärtig immer noch eine Verharmlosung der kraftfahrzeugbedingten Schäden vorgaukeln. In unserer Heimat wurden nach dem zweiten Weltkrieg rund eine halbe Million Menschen auf den Straßen getötet. Allein in den letzten 10 Jahren sind auf unseren Straßen 1,6 Millionen Menschen durch das Auto schwerverletzt worden, was in der Regel für die Betroffenen

eine lebenslange Verkrüpplung bedeutet. Im gleichen Zeitraum starben 15000 Kinder unter 15 Jahren durch einen Autounfall. Schon in 15 Jahren wird höchstwahrscheinlich der Wissenschaft ein Rätsel bleiben, wie sich eine

Gesellschaft mit einer Technik zufrieden geben konnte, die derartig hohe, kriegsähnliche Zahlen an Menschenopfern verlangt hat. Immer mehr Menschen in unserer Heimat empfinden den gegenwärtige Zustand der

Verkehrsverlärmung

in gar keiner Weise akzeptabel. Es herrscht bei in unserem Land ein klassischer Lärmnotstand. Der motorisierte Individualverkehr erzeugt etwa die Hälfte der schädlichen Luftschadstoffe. Das ist besonders beunruhigend für die Gesundheit

der Menschen, denn die Langzeitwirkungen sind noch sehr unzureichend erforscht.

Eine weitere sehr dramatische Umweltbelastung ist auch die raumzerstörende Auswirkung des motorisierten Individualverkehrs. Des motorisierten Individualverkehrs gehört zu den größten Landschaftsverbrauchern in unserer Heimat [ Straßen, Parkplätze etc. ]. In der Summe muß man feststellen, daß Städte, Gemeinden und Landschaften durch die autogerechte Herrichtung brutal zerstört, lebensfeindlich und unbeschreiblich verunstaltet wurden und werden. Die lebenswichtigen Naherholungsräume erlitten durch den motorisierten Individualverkehr einen nicht mehr zumutbaren Funktionsverlust. Rein sachlich betrachtet gibt es kein anderes einzelnes Techniksystem, das in so vielen Dimensionen so dramatisch viele Schäden produziert wie der gegenwärtige Automobilismus. Demgegenüber stehen auch unübersehbare Vorteile. Das Automobil schafft und stabilisiert Arbeitsplätze und ermöglicht zu jeder Zeit eine wettergeschützte Fortbewegung an jedem Ort. Automobile erweitern den Aktionsradius des Einzelnen für Beruf, Erkundungen, Kontakte und Erholung. In gewisser Form dient es sogar als technisch unterstützte Potenzverstärkung, Überlegenheitsdemonstration und Statusverbesserung. Das Automobil stabilisiert ökonomische Strukturen, die in unserer Heimat einen großen Teil der volkswirtschaftlichen Ressourcen und Arbeitskräfte an sich binden. Ein notwendiges umweltpolitisches Handeln gilt also als Maßstab für den Verfassungsauftrag unserer Politiker:

Der Schutz der Würde des Menschen.

Das Recht auf ungestörten Schlaf, auf sauberes Wasser und reine Luft sollte deshalb Verfassungsrang eingeräumt werden. Nur so ist das verfassungspolitische

Leitbild für die schwierige Aufgabe zu konkretisieren:

Umweltsicherung und Umweltgestaltung

als Schwerpunkt des staatlichen Handelns.

Wegweisende Vorschläge wurden bereits gemacht, wie das Denken von Belastbarkeitsgrenzen sowie Leitlinien für eine menschen- und umweltverträglichere Stadtverkehrspolitik. Das lästige Stop – and – Go, das aktuell noch vielerorts Normalität bedeutet, könnte einem harmonischen Verkehrsfluss weichen, so dass Innenstädte nicht mehr zu mautpflichten Zonen verkommen müssen, die mit farbigen Plaketten zu befahren sind. Öffentlicher Nahverkehr und privater Individualverkehr sollten aus sich heraus wachsen, damit auch in 15 Jahren individuelle Mobilität erhalten bleibt. Unsere Politiker müssen einfach nur einmal

VORAUSDENKEN.

Innovative Stadtverkehrsplanung schafft belastungsfreie Freiräume für alle Menschen.

Radikale Mobilität dagegen behindert die Freiheit der Menschen in unserer Heimat.

 

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Deutscher Rentenschutzbund e.V.

 

Wir kämpfen seit 22 Jahren mit der Stimme der Demokratie für einen modernen Sozialstaat, sichere, langfristige Arbeitsplätze, sinnvolle, gerechte und lernfähige Rentensysteme, sichere, gerechte und leistungsfähige Sozialsysteme und für korruptionsfreie Demokratie in Deutschland und der Europäischen Union.

 

 

 

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