Absit Omen
Die schleichende Invasion?
Ein Ausflug in die Wirtschaftsgeschichte von China ist auch gleichzeitig ein Blick in die Zukunft. Nachdem im Jahr 1949 die Volksrepublik China ausgerufen wurde, interessierte den Rest der Welt vor allem die Frage, wie das Land wohl jemals seine riesige Bevölkerung ernähren wolle. 63 Jahre später sieht sich die Welt einem Land gegenüber, das nicht nur seine Bevölkerung ernährt, sondern sich auch seither mehr als verdoppelt hat und zu den größten Exportnationen der Welt gehört. Die Wirtschaftspolitik unter Mao Zedong war von der Einführung einer Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild geprägt. Ein Plan sollte den Markt bei der Verteilung von Ressourcen und Investitionen ersetzen. Das Ziel war, eine schnellstmögliche Industrialisierung und höchstmögliches Wirtschaftswachstum zu erreichen. Dabei wurde die Planwirtschaft in einigen Bereichen entscheidend an die chinesischen Verhältnisse adaptiert. Zum einen sah sich China nicht in der Lage, genug planerische und administrative Kräfte aufzubringen, um eine Planwirtschaft nach streng sowjetischem Vorbild einzuführen. Anstelle dessen wurden bereits in den 1950er Jahren Maßnahmen zur Dezentralisierung getroffen und den Verantwortlichen auf Provinz- und Betriebsebene mehr Freiraum zur Umsetzung der Vorgaben gegeben.
Zum anderen legte Mao Zedong großen Wert auf autarke Entwicklung. Nicht nur China, sondern auch einzelne Provinzen oder Regionen sollten sich selbst versorgen können. Dadurch isolierte sich China vom Rest der Welt gerade in einer Zeit, als andere Entwicklungsländer durch aktive Förderung der Integration in den Weltmarkt einen wirtschaftlichen Aufholprozess erfuhren.
Der dritte Unterschied zum sowjetischen Wirtschaftsmodell lag darin, dass Mao in der Wirtschaftsentwicklung auf Massenkampagnen setzte, etwa den großen Sprung nach vorn oder die Kulturrevolution. Diese beiden vor allem politisch motivierten Bewegungen warfen das Land jedoch um viele Jahre zurück. Die Kulturrevolution
1966 – 1976
legte China für ein ganzes Jahrzehnt praktisch lahm:
Schulen und Universitäten waren geschlossen, man hatte im maoistischen Slang
„ROT“
- also politisch korrekt – und kein Experte also technisch oder ökonomisch fähig zu sein. Das wirtschaftliche Erbe Maos ist somit zwiespältig:
Einerseits wuchs das Bruttoinlandsprodukt zwischen 1952 und 1975 um jährlich durchschnittlich 6,7%, die Möglichkeiten für Bildung – insbesondere für Frauen – medizinische Versorgung und soziale Sicherheit erreichten ein Niveau, das es in der Geschichte des Landes zuvor nie gegeben hatte und der Anteil der Industrie an der Wirtschaftskraft wurde von etwa 20% 1952 auf 45% 1975 gesteigert. Diese Erfolge beruhten jedoch größtenteils auf der Mobilisierung zusätzlicher Ressourcen,
die Investitionen wurden zunehmend ineffizienter und das relativ hohe Wirtschaftswachstum konnte nur zu einem sehr geringen Anteil in höheren Konsum der Bevölkerung umgesetzt werden. Letzten Endes musste Mao sich auch selbst eingestehen, dass sich seine von utopischen Visionen geleitete Wirtschaftspolitik in einer Sackgasse befand. Die frühen 1970er Jahre brachten die wirtschaftlich pragmatischen Politiker
Deng Xiaoping und Zhou Enlai
zurück an die Macht, obwohl sie vorher schon in Ungnade gefallen waren. Der Tod von
Mao Zedong [ 1976 ] eröffnete weitere Möglichkeit zu Reformen. Eine Fortsetzung der Wirtschaftspolitik, wie sie unter Mao gemacht wurde, hätte das wirtschaftliche Chaos für China bedeutet. Deng Xiaoping ging die dringendsten Probleme daher zuerst an und erlaubte lokalen Parteiführern schrittweise, die Kollektivierung der Landwirtschaft zurückzunehmen. Die Bauern hatten von da an Eigentumsrechte an ihren Produkten, Landbesitz war jedoch weiterhin nicht möglich. Landwirtschaftliche Produkte wurden bald wieder auf den frei zugänglichen, ländlichen Märkten gehandelt. Ab Mitte der 1980er Jahre wurden auch nichtstaatliche Unternehmen in der Industrie zugelassen und die Staatsunternehmen mussten auf den sich entwickelnden Märkten mit Privatunternehmen konkurrieren. 10 Jahre danach wurde es ausländischen Unternehmen erlaubt, in China zu investieren und der Außenhandel wurde liberalisiert.
Institutionelle Reformen an staatlichen Investitionen oder dem Steuersystem wurden notwendig und durchgeführt. An den politischen Rahmenbedingungen wurde jedoch zunächst nichts geändert, weshalb das Wirtschaftssystem als Staatskommunismus oder offiziell als
sozialistische Wirtschaft chinesischer Prägung
bezeichnet wurde. Im Jahre 1995 wies die Wirtschaft ein stabiles hohes Wachstum auf, das vorher isolierte Land war der siebent größte Teilnehmer am internationalen Handel und der Lebensstandard wuchs schnell, wobei die Konsumausgaben der Haushalte zu konstanten Preissteigerungen um jährlich mehr als 7% führten. 2006
stellt sich die Frage, wie lange die chinesische Wirtschaft noch in diesem Tempo wachsen kann?
Mittlerweile gibt es in China kaum noch Marktsegmente, welche man leicht liberalisieren könnte, um damit ein schnelles und vor allem großes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu erzeugen. Dazu gibt es einige wirtschaftliche Problemfelder, zu deren Lösung es schmerzhafter Einschnitte bedarf. Dazu gehören Staatsunternehmen, die nicht privatisiert wurden und die teils hohe Verluste machen.
Diese maroden Staatsunternehmen erhalten durch die chinesischen Staatsbanken immer neue Kredite.
Damit erhält man sie künstlich am Leben.
Bedingt dadurch haben die dominierenden staatlichen Banken hohe Summen an oberfaulen Krediten angehäuft, wodurch das Bankensystem zum Teil illiquide geworden ist. Sollten plötzlich alle Bankkunden in einem Bankenansturm ihre Einlagen zurückverlangen, so könnten die Forderungen nicht bedient werden. Eine Reform des staatlichen Sektors wird von der Regierung der Volksrepublik China aber nur sehr zögerlich angegangen, denn es ist zu befürchten, dass eine
Schließung von unrentablen Staatsunternehmen zu einer stark steigender Arbeitslosigkeit in den Städten führen würde. Die heutige Wirtschaftsphase wird angesichts des zunehmenden Gewichts der Privatwirtschaft in China oft als Chinas
schneller Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft bezeichnet. Anerkannte Chinaexperten weisen jedoch darauf hin, dass in China keineswegs die freie Marktwirtschaft regiert, vielmehr sprechen sie von einem autoritären
Kader – Kapitalismus,
denn wirtschaftlich erfolgreich sind meist Unternehmer mit guten Beziehungen zu den Mächtigen. Wachsende Korruption ist ein großes Problem. Das gegenwärtige marktwirtschaftliche System wird vom politischen Machtapparat lediglich als
unvermeidliche Übergangsordnung betrachtet. Angesichts der gegenwärtigen Erfolge der chinesischen Wirtschaft wird der Übergangscharakter der geltenden Ordnung möglicherweise zu wenig zur Kenntnis genommen, vor allem auch von Seiten der westlichen Investoren. Denn trotz des staatlich geförderten marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems hat die Kommunistische Partei Chinas ihr Ziel, den
Kommunismus als alle Lebensbereiche umfassende Gesellschaftsordnung, nie „so richtig“ aufgegeben. Der Kommunismus, so die chinesische Doktrin, kann nur über den Kapitalismus, dem in einer nächsten Phase die Vergesellschaftlichung des Kapitals folgen wird, erreicht werden. In den Kaderschulen der Partei wird diese
Art der unausweichlichen Dialektik nach wie vor gelehrt.
Mit dem marktwirtschaftlichen System der Übergangsordnung erreichte die
Volksrepublik China bis heute Wachstumsraten von 10%. Die
Volksrepublik China
gehört damit zu den dynamischsten Wirtschaftsregionen der Welt.
In vielen Bereichen wirtschaftlicher Produktionssektoren erreicht China mittlerweile nicht nur Spitzenpositionen, sondern belegt häufig schon eine unangefochtene Führungsposition. Aber:
Wie wird das chinesische Wundersystem am Leben erhalten?
Was muß man unter dem Begriff
Marktwirtschaftliche Übergangsordnung
wirklich verstehen?
Die Erklärung ist sehr einfach und lässt eine simple Strategie erkennen. Das chinesische Wundersystem untergliedert sich in fünf Phasen.
1.
Phase
Der Gewinngier westlicher Unternehmen folgend wurden mit Beginn der 80ziger Jahre kostengünstige Produktionsformen und Produktionsstätten vermehrt angeboten. Die Arbeitszeiten von Chinesen liegen täglich zwischen 9 bis 14 Stunden. Eine Arbeitsstunde kostet durchschnittlich 2,00 bis maximal 5,00 Euro. Das Problem von nörgelnden oder drohenden Gewerkschaften ist in China unbekannt.
Streiks finden nicht statt.
Der Begriff „Mitbestimmung“ löst in China blankes Erstaunen aus. Wie erwartet griffen viele westliche Unternehmen dankbar zu. Sie schlossen Betriebstätten im eigenen Land und eröffneten so genannte „Neue“ in China. Auf diese Art gelang es den Chinesen vollkommen kostenfrei westliches Produktionswissen und wertvolles westliches Know – How zu erlangen. Da die produzierten Produkte überwiegend im Westen abgesetzt wurden, arbeiteten die chinesischen Unternehmen gewinnbringend. Darüber hinaus konnten mehrere hunderttausend stabile Arbeitsplätze geschaffen und gesichert werden. Die Volksrepublik China erhielt als zusätzlichen und angenehmen Nebeneffekt westliche Währungen [ US - Dollar und Euro ] ins Haus getragen.
2.
Phase
Mit dem gewonnenen westlichen Know – How, den Industriemaschinen und dem Produktionswissen, wurden mit dem Beginn der 90ziger Jahre eigene Produktionsstätten errichtet und in Anlehnung an bekannten Markenprodukte vergleichbare aber wesentlich billigere Erzeugnisse auf die Weltmärkte gebracht.
So entwickelte sich von Jahr zu Jahr eine immer größer werdende Unabhängigkeit von den „Gastunternehmen“.
Die hergestellten chinesischen Produkte entsprechen in der Qualität und im Aussehen oftmals den ursprünglich produzierten Markenprodukten von westlichen Firmen.
Einkäufer von westlichen Vertriebsgesellschaften sind immer an günstigen Waren interessiert. Dadurch entstand für rein chinesische Produkte ein eigener Weltmarkt, der zurzeit systematisch ausgebaut wird.
3.
Phase
Mitte der 90ziger Jahre begann man mit dem Aufbau von eigenen
Verteilungsstrukturen
um dadurch den eigenen Gewinn noch zu erhöhen. Darüber hinaus wurden in den USA und in Europa zunächst kleinere und mittelständische Unternehmen gezielt gekauft. Nach dem Erwerb von Unternehmen werden die Mitarbeiter Zug um Zug ausgetauscht, sodass letztendlich nur noch chinesische Staatbürger in den dann neuen Unternehmen arbeiten. Die Taktik ist auch hier sehr einfach:
Von Low -Tech nach High -Tech.
Schwerpunktmäßig werden die Branchen Textilindustrie, Sanitär und Automobilzubehör angegangen und unterwandert. In Italien arbeiten zum Beispiel schon circa 35000 Chinesen in der Textilindustrie und zwar nach den Regeln des chinesischen Heimatlandes.
Es ist ohnehin kaum vorstellbar, dass ein Gewerkschaftsfunktionär in ein chinesisches Unternehmen in Europa geht, um dort dann die ausschließlich chinesischen Arbeitnehmer von den Segnungen der westlichen Gesellschaft zu überzeugen. Laut einem von Amnesty International in London veröffentlichten Bericht wurden 2005 in China offiziell 1770 Menschen exekutiert, ihre Zahl könnte nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation aber noch höher liegen. Die Volksrepublik hatte 2005 weltweit die meisten Todesurteile verhängt. Da die chinesischen Arbeitnehmer vermutlich nach 2 bis 3 Jahren in ihre Heimat zurückkehren müssen, ist davon auszugehen, dass sie bis dahin loyal und fleißig
- wahrscheinlich bis zu 14 Stunden täglich – arbeiten werden. Durch diese einfache Taktik hat China die Möglichkeit
Land und Leute sowie Wirtschaftliche Abläufe
hautnah zu studieren. Aus den vermeintlichen Schwachpunkten kann man dann wieder Gewinne ziehen.
4.
Phase
Die Volksrepublik China hat Schwerpunktbereiche definiert, in denen weiteres kostenfreies Know – How gewonnen werden soll und muss. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Schwerpunktbereiche auf:
Landwirtschaft, Bergbau, Industrie
sowie
Energiewirtschaft.
Besonders der Bereich der Energiewirtschaft wird im Moment verstärkt bearbeitet. Atomstrom aber auch alternative Energiespender sind im chinesischen Fokus. Hierbei spielen Deutschland und Dänemark eine Schlüsselrolle, da auf diesem Gebiet ein fundamentales Wissen vorhanden ist, dass die Chinesen sehr gerne nutzen und vermarkten würden. Nach dem Bau von Kugelhaufenreaktoren werden sie womöglich unverzüglich damit beginnen, diese – ursprünglich deutsche Technik – weltweit zu verkaufen.
5.
Phase
Seit Jahren beobachtet die Volksrepublik China die Finanzmärkte in den USA und in Europa. Besondere Aufmerksamkeit finden dabei deutsche Banken und deutsche
Versicherungsgesellschaften. Die Profitsituation beeindruckt die chinesischen Spezialisten außerordentlich. Da die Finanzwirtschaft ein Teil des wirtschaftlichen Betriebsprozesses ist und sich untergliedert in Investition, Finanzierung und Risikomanagement, hat sie absolute Priorität in der chinesischen Strategie und Planung. Die Finanzwirtschaft beschäftigt sich mit der finanziellen Dimension eines Unternehmens, insbesondere auf welche Art und Weise ein Unternehmen Geldkapital beschafft und für welche Projekte es diese Mittel einsetzt. Die Beschaffung von Geldkapital wird auch als Finanzierung bezeichnet, während die Mittelverwendung für Projekte eine Investition darstellt. Dieser Bereich der Betriebswirtschaftslehre beschäftigt sich mit der Optimalität von Projekten und deren Bewertung und der Bewertung von ganzen Unternehmen. Dies beinhaltet die Bewertung von Eigenkapital und Fremdkapital sowie deren Mischformen und die Beantwortung der Frage, warum bestimmte Instrumente zur Finanzierung eingesetzt werden. Über ein solches Know -How zu verfügen, ist aus der Sicht der Chinesen der Schlüssel zum Erfolg für ihr weiteres weltweites Vorgehen. Wichtige Meilensteine in der Entwicklung der modernen chinesischen Finanzwirtschaft wird deshalb die konsequente Bearbeitung des deutschen Marktes sein. Es ist also heute schon sonnenklar
„Die schleichende Invasion“
hat längst begonnen. Noch ist aber offen, wie viele Arbeitsplätze in Deutschland ohne Not freiwillig geopfert werden, damit in China blühende Industrien ihre Geburt feiern können. Möge sich die Vorahnung nicht bestätigen
Absit Omen,
denn jeder neue Arbeitsplatz in Deutschland beendet ein Einzelschicksal eines
arbeitslosen Menschen und stabilisiert gleichzeitig das gesetzliche Rentensystem.
